Silverlion
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Manuskript
Beitrag: Verführung am Bildschirm – Computerwelt
gegen Wirklichkeit
Sendung vom 23. August 2005
von Rainer Fromm
Anmoderation:
Gibt es eine andere Welt als diese? Ein klares Ja - unter anderem
die Welt eines nicht endenden Video-Spiels namens World of
Warcraft, zu deutsch: die Welt der Kriegskunst. Die Rede ist von
Deutschlands erfolgreichstem Computerspiel. Über 300.000
Menschen tauchen ab in diese andere Welt - im Extremfall rund
um die Uhr. Kino, Freunde, Partner - alles kaum noch
konkurrenzfähig. Es ist ein Spiel, das lebt, in dem die Spieler
Rollen annehmen und jeder auf den gesamten Spielverlauf und
damit das Schicksal der Spieler ständig Einfluss nimmt. Wer nicht
vor dem Computer sitzt, verpasst seinen virtuellen Alltag. Rainer
Fromm ist eingetaucht - in die milliardenschwere andere Welt.
Text:
Sie spielen Terroristen, Terroristenjäger, Orks oder Nachtelfen
und machen sich gegenseitig das Leben schwer: Sie sind Profis,
ballern und zocken bei den E-Sportmeisterschaften in Köln. Diese
beiden nennen sich LasH und Miou. Sie kämpfen um den
Finaleinzug beim Strategiespiel Warcraft III. Bis zu sechs
Mouseclicks die Sekunde - Hochleistungssport.
O-Ton: Dennis Hoffmann, "LasH", Warcraft III- Spitzenspieler:
Also für ganz oben mitzuspielen, so international, würde ich
schon sagen, dass man fast 16 Stunden am Tag spielen
muss. So auf deutscher Ebene würde ich sagen, dass so
sechs Stunden am Tag reichen, um richtig oben zu bleiben.
O-Ton: Daniel Holthuis, "miou", Warcraft III-Spitzenspieler
Priorität hat auf jeden Fall, dass man ausgeschlafen ist, dass
man alles dafür tut, dass man voll konzentriert ist, viel
Wasser trinken zum Beispiel, und sich auch gut ernähren -
find' ich auch wichtig, für meinen Teil, manche sehen es
auch anders.
O-Ton: Dennis Hoffmann, "LasH", Warcraft III-Spitzenspieler
Ich würde sagen, mit 22 gehört man schon zum alten Eisen,
auf jeden Fall. Ich würde mal sagen, mit 16 Jahren ist man in
der optimalen Altersgruppe um anzufangen, professionell zu
spielen, und je älter man wird, je langsamer wird die Hand-
Mouse-Koordination und darauf kommt es eben an beim
Computerspielen.
Nach Warcraft III kam World of Warcraft - die "Welt des
Kriegshandwerks". Deutschlands erfolgreichstes Computerspiel.
Ein Rollenspiel, das nicht allein gespielt wird, sondern online in
einer weltweiten Spielergemeinschaft. Allein in Deutschland sind
es 300.000 Teilnehmer. Die Figuren entwickeln sich im Spiel -
schier ohne Ende. Das hat Folgen für manche Spieler, wissen die
Profis.
O-Ton: Daniel Holthuis, "miou", Warcraft III-Spitzenspieler
Man muss halt einfach unterscheiden, viele Leute gehen
kaputt an diesen Rollenspielen, indem sie einfach nur noch
das spielen und nichts anderes mehr machen. Mir würde so
etwas nie passieren - kann ich schon mal so sagen - weil
einfach das soziale Umfeld, es muss einfach vorhanden
bleiben, und man muss auch sehen, dass man das noch
pflegt. Und man soll es nicht übertreiben, das ist immerhin
noch ein Hobby.
Alexander Kopal ist einer von denen, die übertreiben. Er spielt
rund drei Stunden am Tag. Freunde treffen - dafür hat er kaum
Zeit. Im wirklichen Leben ist er ein 15-jähriger Gymnasiast, aber
meist denkt er, wie er sagt, als Ork. Diese Online-Figur hat er bei
World of Warcraft zum Leben erweckt, von ihr kommt er nicht
mehr los. Denn mit jedem besiegten Gegner wird der Ork
Alexander besser, also muss er immer weiter kämpfen - und
leben, in der virtuellen Welt.
O-Ton: Alexander Kopal, World-of-Warcraft-Süchtiger
Das ist einfach die Sache, dass wenn man selber nicht da
weiterspielt und einfach sagen wir mal 'ne Pause machen
würde oder so, dann werden ja die anderen, die Gegner,
dadurch alle stärker, und dass man dann selber nichts tut
dafür, das ist halt das Schlimme, dass man denkt, man ist
halt viel zu schwach dafür und man muss ein bisschen mehr
spielen, dass man stärker und schneller wird, eine bessere
Ausrüstung kriegt, dass man immer auf dem Level der
anderen bleibt, dass man immer eine Chance hat.
Seit 15 Jahren gibt es den Arbeitskreis gegen Spielsucht.
Gegründet wurde er für Glücksspiel-Abhängige, aber in den
vergangenen Jahren meldeten sich immer mehr Computerspieler.
O-Ton: Frances Lukaczyk, Arbeitskreis gegen Spielsucht,
Diplomsozialarbeiterin
Es gibt Fälle von Kindern, die ihre körperliche Hygiene
vollständig vernachlässigt haben, bis hin zu jungen
Erwachsenen, die in einem vollständig verwahrlosten
Haushalt lebten, weil sie sich um die Aufrechterhaltung ihrer
häuslichen Situation nicht mehr kümmern konnten. Das
Einzige, worum dieser junge Mann sich noch kümmern
konnte, war die Bezahlung seiner Stromrechnung, damit er
wenigstens seinem Computerspiel nachkommen konnte.
Der Stammtisch der Hexen und Heiden-Community in Köln. Orks
und Nachtelfen aus World of Warcraft unter sich - mal in Zivil. Sie
interessieren sich für den Menschen hinter der Rolle, pflegen
Freundschaften - auch in der realen Welt. Die Sogwirkung ihres
Lieblingsspiels kennen sie genau:
O-Ton:Taro Sladek, World-of-Warcraft-Stammtisch
Sagen wir so, Sie haben ein schlechtes Leben und Sie
verdienen nicht gut Geld und Sie wissen nicht, wie Sie
weiterkommen. In World of Warcraft gibt es immer einen
Weg, und das ist das Verlockende für einen Spieler.
Alexander Kopal geht auf in seinen Abenteuern als Ork auch
schon mal rund um die Uhr. Seit er World of Warcraft spielt, hat er
sich in der Schule dramatisch verschlechtert. Seine Eltern sind
besorgt.
O-Ton: Ina Kopal, Mutter von Alexander
Ich sehe ihn immer dort sitzen, dort unten am PC und
kämpfen, und er ärgert sich auch oft mal und dann merke ich
die Zeit, die er dort unten verbringt, und sage dann: Also jetzt
reicht es irgendwann mal!
Alexanders Eltern drohen, jetzt den Stecker rauszuziehen.
Alexander hört wenigstens noch zu, weil seine Mutter von dem
Spiel etwas versteht. Doch den meisten Eltern sind
Computerspiele generell zu schnell, zu laut - irgendwie
Teufelszeug. Dabei steht die Technik längst fast in jedem
Kinderzimmer - und die Industrie hat immer ein neues Spiel im
Angebot. Eine boomende Branche mit über einer Milliarde Euro
Umsatz allein in Deutschland. Die jugendlichen Spieler sprechen
längst eine eigene Sprache, leben in ihrer eigenen Welt.
O-Ton: Frances Lukaczyk, Arbeitskreis gegen Spielsucht,
Sozialarbeiterin
Zum Erwachsenwerden gehört einfach dazu, seine Rolle in
der Gemeinschaft zu finden. Viele Jugendliche finden sie in
ihrem realen Leben nicht, aber in ihrem Spiel World of
Warcraft. Für einen Spieler in der Beratung bedeutete das, er
konnte seine Klausuren für die er in Nachhilfe lange gelernt
hat, nicht durchführen, weil zur gleichen Zeit sein Clan einen
wichtigen Kampf hatte und er durfte nicht fehlen. Da war sein
Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft im Online-Spiel
wesentlich höher als sein Verantwortungsgefühl für sein
eigenes reales Leben.
So siegt die Phantasie über die Wirklichkeit - und manche
verfangen sich im Netz, finden allein aus der virtuellen Welt nicht
mehr hinaus.
Beitrag: Verführung am Bildschirm – Computerwelt
gegen Wirklichkeit
Sendung vom 23. August 2005
von Rainer Fromm
Anmoderation:
Gibt es eine andere Welt als diese? Ein klares Ja - unter anderem
die Welt eines nicht endenden Video-Spiels namens World of
Warcraft, zu deutsch: die Welt der Kriegskunst. Die Rede ist von
Deutschlands erfolgreichstem Computerspiel. Über 300.000
Menschen tauchen ab in diese andere Welt - im Extremfall rund
um die Uhr. Kino, Freunde, Partner - alles kaum noch
konkurrenzfähig. Es ist ein Spiel, das lebt, in dem die Spieler
Rollen annehmen und jeder auf den gesamten Spielverlauf und
damit das Schicksal der Spieler ständig Einfluss nimmt. Wer nicht
vor dem Computer sitzt, verpasst seinen virtuellen Alltag. Rainer
Fromm ist eingetaucht - in die milliardenschwere andere Welt.
Text:
Sie spielen Terroristen, Terroristenjäger, Orks oder Nachtelfen
und machen sich gegenseitig das Leben schwer: Sie sind Profis,
ballern und zocken bei den E-Sportmeisterschaften in Köln. Diese
beiden nennen sich LasH und Miou. Sie kämpfen um den
Finaleinzug beim Strategiespiel Warcraft III. Bis zu sechs
Mouseclicks die Sekunde - Hochleistungssport.
O-Ton: Dennis Hoffmann, "LasH", Warcraft III- Spitzenspieler:
Also für ganz oben mitzuspielen, so international, würde ich
schon sagen, dass man fast 16 Stunden am Tag spielen
muss. So auf deutscher Ebene würde ich sagen, dass so
sechs Stunden am Tag reichen, um richtig oben zu bleiben.
O-Ton: Daniel Holthuis, "miou", Warcraft III-Spitzenspieler
Priorität hat auf jeden Fall, dass man ausgeschlafen ist, dass
man alles dafür tut, dass man voll konzentriert ist, viel
Wasser trinken zum Beispiel, und sich auch gut ernähren -
find' ich auch wichtig, für meinen Teil, manche sehen es
auch anders.
O-Ton: Dennis Hoffmann, "LasH", Warcraft III-Spitzenspieler
Ich würde sagen, mit 22 gehört man schon zum alten Eisen,
auf jeden Fall. Ich würde mal sagen, mit 16 Jahren ist man in
der optimalen Altersgruppe um anzufangen, professionell zu
spielen, und je älter man wird, je langsamer wird die Hand-
Mouse-Koordination und darauf kommt es eben an beim
Computerspielen.
Nach Warcraft III kam World of Warcraft - die "Welt des
Kriegshandwerks". Deutschlands erfolgreichstes Computerspiel.
Ein Rollenspiel, das nicht allein gespielt wird, sondern online in
einer weltweiten Spielergemeinschaft. Allein in Deutschland sind
es 300.000 Teilnehmer. Die Figuren entwickeln sich im Spiel -
schier ohne Ende. Das hat Folgen für manche Spieler, wissen die
Profis.
O-Ton: Daniel Holthuis, "miou", Warcraft III-Spitzenspieler
Man muss halt einfach unterscheiden, viele Leute gehen
kaputt an diesen Rollenspielen, indem sie einfach nur noch
das spielen und nichts anderes mehr machen. Mir würde so
etwas nie passieren - kann ich schon mal so sagen - weil
einfach das soziale Umfeld, es muss einfach vorhanden
bleiben, und man muss auch sehen, dass man das noch
pflegt. Und man soll es nicht übertreiben, das ist immerhin
noch ein Hobby.
Alexander Kopal ist einer von denen, die übertreiben. Er spielt
rund drei Stunden am Tag. Freunde treffen - dafür hat er kaum
Zeit. Im wirklichen Leben ist er ein 15-jähriger Gymnasiast, aber
meist denkt er, wie er sagt, als Ork. Diese Online-Figur hat er bei
World of Warcraft zum Leben erweckt, von ihr kommt er nicht
mehr los. Denn mit jedem besiegten Gegner wird der Ork
Alexander besser, also muss er immer weiter kämpfen - und
leben, in der virtuellen Welt.
O-Ton: Alexander Kopal, World-of-Warcraft-Süchtiger
Das ist einfach die Sache, dass wenn man selber nicht da
weiterspielt und einfach sagen wir mal 'ne Pause machen
würde oder so, dann werden ja die anderen, die Gegner,
dadurch alle stärker, und dass man dann selber nichts tut
dafür, das ist halt das Schlimme, dass man denkt, man ist
halt viel zu schwach dafür und man muss ein bisschen mehr
spielen, dass man stärker und schneller wird, eine bessere
Ausrüstung kriegt, dass man immer auf dem Level der
anderen bleibt, dass man immer eine Chance hat.
Seit 15 Jahren gibt es den Arbeitskreis gegen Spielsucht.
Gegründet wurde er für Glücksspiel-Abhängige, aber in den
vergangenen Jahren meldeten sich immer mehr Computerspieler.
O-Ton: Frances Lukaczyk, Arbeitskreis gegen Spielsucht,
Diplomsozialarbeiterin
Es gibt Fälle von Kindern, die ihre körperliche Hygiene
vollständig vernachlässigt haben, bis hin zu jungen
Erwachsenen, die in einem vollständig verwahrlosten
Haushalt lebten, weil sie sich um die Aufrechterhaltung ihrer
häuslichen Situation nicht mehr kümmern konnten. Das
Einzige, worum dieser junge Mann sich noch kümmern
konnte, war die Bezahlung seiner Stromrechnung, damit er
wenigstens seinem Computerspiel nachkommen konnte.
Der Stammtisch der Hexen und Heiden-Community in Köln. Orks
und Nachtelfen aus World of Warcraft unter sich - mal in Zivil. Sie
interessieren sich für den Menschen hinter der Rolle, pflegen
Freundschaften - auch in der realen Welt. Die Sogwirkung ihres
Lieblingsspiels kennen sie genau:
O-Ton:Taro Sladek, World-of-Warcraft-Stammtisch
Sagen wir so, Sie haben ein schlechtes Leben und Sie
verdienen nicht gut Geld und Sie wissen nicht, wie Sie
weiterkommen. In World of Warcraft gibt es immer einen
Weg, und das ist das Verlockende für einen Spieler.
Alexander Kopal geht auf in seinen Abenteuern als Ork auch
schon mal rund um die Uhr. Seit er World of Warcraft spielt, hat er
sich in der Schule dramatisch verschlechtert. Seine Eltern sind
besorgt.
O-Ton: Ina Kopal, Mutter von Alexander
Ich sehe ihn immer dort sitzen, dort unten am PC und
kämpfen, und er ärgert sich auch oft mal und dann merke ich
die Zeit, die er dort unten verbringt, und sage dann: Also jetzt
reicht es irgendwann mal!
Alexanders Eltern drohen, jetzt den Stecker rauszuziehen.
Alexander hört wenigstens noch zu, weil seine Mutter von dem
Spiel etwas versteht. Doch den meisten Eltern sind
Computerspiele generell zu schnell, zu laut - irgendwie
Teufelszeug. Dabei steht die Technik längst fast in jedem
Kinderzimmer - und die Industrie hat immer ein neues Spiel im
Angebot. Eine boomende Branche mit über einer Milliarde Euro
Umsatz allein in Deutschland. Die jugendlichen Spieler sprechen
längst eine eigene Sprache, leben in ihrer eigenen Welt.
O-Ton: Frances Lukaczyk, Arbeitskreis gegen Spielsucht,
Sozialarbeiterin
Zum Erwachsenwerden gehört einfach dazu, seine Rolle in
der Gemeinschaft zu finden. Viele Jugendliche finden sie in
ihrem realen Leben nicht, aber in ihrem Spiel World of
Warcraft. Für einen Spieler in der Beratung bedeutete das, er
konnte seine Klausuren für die er in Nachhilfe lange gelernt
hat, nicht durchführen, weil zur gleichen Zeit sein Clan einen
wichtigen Kampf hatte und er durfte nicht fehlen. Da war sein
Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft im Online-Spiel
wesentlich höher als sein Verantwortungsgefühl für sein
eigenes reales Leben.
So siegt die Phantasie über die Wirklichkeit - und manche
verfangen sich im Netz, finden allein aus der virtuellen Welt nicht
mehr hinaus.